Ich gehe den Zwischengang in Birkenau entlang, wo Frauen und Kinder zu den hinteren Krematorien getrieben wurden, direkt von der Rampe zur Gaskammer. Brauche eine Hand, gehe mit M., wie die zwei Jungs auf dem Foto, die wenige Stunden später nur noch Asche waren. Ein erstickter Schrei ist in mir, der Drang, wirklich hier zu schreien aus Leibeskräften. Allein ich trau mich nicht, hier in Auschwitz schreit man nicht, man benimmt sich und reißt sich zusammen. Heute 2017 genauso wie damals.
Im Kleingruppenaustausch begegne ich wieder neu unserer jüdischen Mitreisenden. Wir kennen uns, mögen uns, waren schon gemeinsam hier. Ich schätze zutiefst ihren Mut und die Offenheit, mit der sie ihre Wut und Trauer zeigt, bin immer wieder sehr berührt davon, auch wenn es mal gegen mich geht, weil ich gerade Täterenergie repräsentiere. Und jetzt merk ich doch auf einmal die Trennung. Dass zwischen uns trotz allem etwas Trennendes liegt, dass sie mir fremd bleibt, ich etwas in ihr abwehre
Und dann spür ich, dass es wenig mit uns als Personen zu tun hat, sondern wir in einem Feld sind, eingesponnen, wir „Deutsche“, ihr „Juden“ – immer noch wirksam, welche Macht das hat! Auf einmal fühle ich, zum ersten Mal überhaupt, ganz real und körperlich den tiefen Riss, den der Holocaust in der Menschheit hinterlassen hat. Namenlos, unsagbar, ewig, durchschneidet er mich und uns.