Reise 2017 dt.

Reise nach Auschwitz 2017 Dokumentation


Auschwitzerfahrung - Bruchstücke

Alleine wäre ich nie im Leben nach Auschwitz gefahren. Das war eine der vielen Erkenntnisse am Schluss der Reise, nach dem ich spüren durfte, wie unterstützend, tragend und mich bewegend die Gruppe war. Sharings morgens und abends in der Großgruppe sowie die kurzen Verbindungstreffen in meiner 4er Gruppe im Lager, holten mich oft aus dem Alleinsein und der Dumpfheit mit dem Holocaust heraus.

Ein intensiver und überraschender Moment war am Krematorium 3 im Vernichtungslager. Während der gemeinsamen Meditation dort stand ich auf und ging näher an die Ruine ran. Ich blieb in Bewegung und fing an das „Vater Unser“ zu sprechen (leise vor mich hin). Immer und immer wieder. Führte mir vor Augen, was hier geschehen war. Versuchte mich für das unbegreifliche Leid zu öffnen. Und das Gebet half mir, mich auch für das unbegreifliche Göttliche zu öffnen, im Angesicht dieses Ortes. Und es passierte, dass sich etwas verband, in Verbindung in mir ging. Vertrauen kam in mir auf und es bewegten sich Trauer und Emotionen durch meinen Körper. Es gab immer wieder Wellen von Gefühlen oder Energie, sobald ich Kontakt zu den Worten des Gebets fasste. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber gerade hier, in der Konfrontation mit den Grausamkeiten der Entmenschlichung, stieß ich auch auf das unbegreiflich Göttliche. Puhhh, das war was. Was für ein Segen, was für ein Geschenk.


Im Shoa-Haus im Stammlager machte ich noch eine wichtige Erfahrung. In einem der Räume  wurde das jüdische Leben vor dem Krieg filmisch-szenisch an Wände projiziert. Ich sah lachende Gesichter, ich sah Freude und Tanz, Menschen im Alltag, Kinder an der See und vieles andere. Und in mir kam ein Gefühl auf. Ja, ich bin wie die! Da wurde mir meine unbewusste Spaltung und Distanzierung zu den Juden fühlbar deutlich.
An anderer Stelle (im Tschechischen Haus) las ich die Schicksale mehrerer jüdischer Menschen mit künstlerischem und theatralischem Hintergrund. Allesamt sind sie im Holocaust entweder auf Todesmärschen gestorben oder in der Gaskammer ermordet worden. Dies bewegte mich tief. Ich musste an meine Freundin denken, die gerade ihre Schauspielausbildung absolviert hat und an meine kreativen Momente im Leben. Ich spürte diese verbindende Kraft der Kreativität und des Schöpferischem. Etwas was uns alle mit einander eint, egal wie scheinbar kulturell anders jemand ist. Auch das wurde hier vernichtet.

Es gibt sicher noch mehr zu schreiben
                                                                Wie kann ich hier bei Worten bleiben?

                                                                    Wenn das Unbegreifliche anklopft
                 Wird es bei mir schnell verkopft!

                                                 Aber verurteile mich nicht zu sehr
            Das Ganze ist sowieso so schwer
    
  Im Gebet fand sich Trost
                                              Es wurden Himmelstickets verlost

                                                                                       Mögen die Seelen ihr Schweigen brechen
                              Und sich keiner mehr aneinander rächen

                                                                                                    Wir leben als Menschen zusammen Wofür andere Menschen verdammen?

                                             Mögen wir im Gebet beieinanderstehen
                                                       Uns in Verbundenheit mit der Erde drehen

 Das Grauen Auschwitz in uns bewegen  
                                                                                  Da sieht Gott all unseren Segen.

Großes Danke an Monika und die drei Stefans für ihre Initiative, die Struktur für die Gruppe und ihren Mut.



Für diese gemeinsame Reise und Erfahrung bin ich sehr dankbar.

Es gab das tiefe gemeinsame Bezeugen des Ortes mit der unfassbaren Vernichtung der Menschen    und das Teilen der eigenen Prozesse.
So spüre ich meine Sehnsucht nach tieferem, persönlichen, intimem Raum den ich (mit)teilen kann, spüre meine Dankbarkeit und Sehnsucht Zeugenschaft wie wir sie erlebt und gestaltet haben, weiter einzunehmen: bewußt und fühlend da zu sein mit dem was ist.
In mir gibt es eine neue Ruhe, ich fühle mich zentrierter und weicher zugleich.
Fühle Trauer und Liebe, wünsche mir tiefer und ehrlicher das Leben zu umarmen und es gibt den tiefen Wunsch, es möge unser Bemühen im gemeinsamen Bezeugen und Fühlen,  Ort und Zeit durchdringen.
Blitzlichter:
Angesichts der Berge von menschlichem Haar, den Schuhen und dem Geschirr... fließen Tränen- wie überwältigt taucht der hilflos kindliche Wunsch in mir auf, dem Haar, den Dingen wieder Ganzheit und Zugehörigkeit schenken zu wollen...
Suche die Fotogalerie danach, das Antlitz der Menschen, sie sehen wollen, ihnen jetzt so zu gedenken, mit ihnen zu sein.

Gaskammer: tiefes Entsetzen, starr werden, versuche zu beten, kein Gebet passt-
ich finde keinen Zugang, keine Verbindung zum Wort, versuche da zu bleiben,
draußen die Hand zum Anderen tut gut, wir stehen im Halbkreis, mehr Nähe geht nicht.

Birkenau, gehe langsam, suche immer wieder mit Blicken die anderen, wo sind sie, wo war der Treffpunkt? Orientierungslosigkeit , Unruhe Ängstlichkeit in mir.
Der Weg durch das ehemalige Lager, unendlich lang, fühle mich getrennt, einsam dann der Impuls/Gedanke: Alles soll weg-nichts soll mehr sichtbar sein, kein Stein mehr...
ich verdränge ihn, erst später wird er mir wieder bewußt.

Am Aschesee: in der Medi erlebe ich mit einem Mal Trost, getröstet sein,
wie kann das sein?, bin verwirrt, beschämt, lasse zu

in den Medis:              Licht, weiches, mildes, sonniges Licht,
bin beschenkt, das habe ich zuvor nicht erlebt...
 
die Ausstellung von Marian Kolodziej: wie in die Baracke gehen, überall Augen, Menschenleiber, Linienspuren, Licht und Schwärze
Ikonengleich: der geopferte Mensch, das Menschliche
erlittene Qualen brechen in den Zeichnungen nach außen, ich stehe wie im Echo eines Donners , spüre mein Herz noch lange schlagen.

Mit herzlichem Dank und Verbundenheit Euch Allen!


1. Tag: Holocaust-Denkmals / Topographie des Terrors

Vom ersten Tag ist mir am stärksten in Erinnerung, dass ich am Rand des Stehlenfeldes vom Holocaust-Denkmal die meiste Resonanz in mir wahrgenommen habe. Vom Rand aus in das Feld hineingehend wurde die Enge in bestimmten Teilen meines Körpers zunächst immer deutlicher spürbar. Doch nach einem gewissen Weg fing ich irgendwann an zu denken und weniger präsent zu werden, bis ich dann nach einem weiteren Schritt gar nichts mehr gefühlt habe. Wenn ich an der Stelle vor dem „letzten Schritt“ stehen geblieben bin, dann wirkte das Stehlenfeld am stärksten auf mich und ich hatte die visuelle Wahrnehmung von den Stehlen als eng hintereinander fahrende LKWs die etwas transportieren und dachte dabei an die Juden.

2. Tag: Haus der Wannsee-Konferenz / Gleis 17
Am zweiten Tag spürte ich beim Besuch des Hauses der Wannsee-Konferenz eine gewisse Faszination bei der Betrachtung der Bilder von ranghohen Mitgliedern der NSDAP. Etwas in mir bewunderte an Ihnen, dass Sie alles im Griff und das Geschehen im Land unter Kontrolle hatten. Das war schon ein erster Hinweis auf den Prozess, den ich in den nächsten Tagen in Auschwitz durchlebt habe, und der mit der Erkenntnis darüber begann, dass es etwas sehr hartes und unnachgiebiges in mir gibt, dass davon überzeugt ist, bestimmte lebendige Regungen unter Kontrolle halten zu müssen.

3. Tag: Zugfahrt nach Oswiecim / Auschwitz I – Stammlager
Beim ersten Besuch des Stammlagers hat mich die Ausstellung einer kleinen Metalldose erschüttert, die einst einem der hier ermordeten Menschen gehört haben muss. Wir hatten schon in den Gruppen-Sharings zuvor darüber gesprochen, dass bei der versuchten Vernichtung der Juden auch sehr viele Deutsche umgebracht wurden. Menschen, die sich klar als Deutsche gefühlt haben. Diese kleine Metalldose hat mir dies erst richtig bewusst gemacht, denn sie war mit einem Etikett mit deutscher Schrift beklebt und muss einst in einem deutschen Laden gekauft worden sein. Ich hatte das Gefühl, diese Dose hätte auch meinen eigenen Großeltern gehört haben können.

4. Tag: Auschwitz II – Birkenau / Auschwitz I - Stammlager
Der erste Tag in Auschwitz – Birkenau war für mich wirklich schaurig. Schon sehr bald nach dem Eintritt auf das Gelände konnte ich wahrnehmen, dass mein ganzer Körper wie betäubt war. Vergleichbar mit dem Gefühl, dass ich von der Betäubung durch einen Zahnarzt her kenne. Im Laufe der Zeit verstärkte sich dieser Effekt soweit, dass ich mich den ganzen Tag wie in einem Traum befindlich fühlte, oder wie ein Geist, der in einer Zwischendimension gefangen ist. Alles war irgendwie neblig. Am Abend hatte ich dann Angst davor, dass ich am nächsten Tag wieder in diesen Zustand geraten könnte und nicht wieder heraus kommen könnte.

5. Tag: Auschwitz II – Birkenau
Glücklicherweise war ich am nächsten Tag wieder wesentlich mehr mit meinem Körper verbunden. Wirklich viel gespürt habe zunächst dennoch nicht, jedenfalls nicht auf der emotionalen Ebenen. Ab und zu kam etwas wie Traurigkeit auf, ganz seicht und sofort beendet, wenn ich die Emotion irgendwie verstärken wollte. Ich bekam langsam mit, dass ich dieses Gefühl nur ganz sanft, eigentlich gar nicht, berühren durfte, um es etwas zu stabilisieren. Die stärkste Wahrnehmung hatte ich schließlich nach der letzten Meditation, auf dem Weg vom Krematorium V zum Ausgang. Aus einem eher leichten und etwas fröhlicheren Gespräch heraus überkam mich schlagartig eine neue Klarheit darüber, was hier passiert ist, die sich in einem sehr düsteren Gefühl des Grauens in mir ausdrückte.

6. Tag: Ausstellung / Auschwitz II – Birkenau
Der letzte Tag in Birkenau hat mich wieder mehr mit dem Leben verbunden. Ich ging durch einen Gang, der zwischen den Barrackenfeldern verlief, und hörte einen Vogel, der sein Lied sehr laut und vollkommen chaotisch gesungen hat. Keine Passage seines Gesangs wiederholte sich, alles war vollkommen neu. Das hat mich im Hier und Jetzt des Lebens gehalten, während ich mich auf die Atmosphäre von Birkenau eingestimmt habe. Ich bin jetzt dazu bereit, die Impulse des Lebens in mir zu hören und zu achten, die ich zuvor als nicht lebenswert oder zu schwach oder zu stark abgewertet habe. Und ich weiß jetzt die Angst in mir einzuordnen, irgendetwas nicht zu schaffen oder nicht halten zu können. Das ist für mich das Geschenk aus Oswiecim.

Blind Drawing Erster Tag



Ich schreibe aus tiefer Resignation heraus.

Dies ist mein 3. Tag  zurück, ich habe gerade keinen Job, der mich ablenkt und mein Landen hier schneller gestaltet, hier, zuhause in Berlin.
Berlin ist außerdem der Ort, an dem wir als Gruppe anfingen uns zu treffen, gemeinsam zum Stehlenfeld zu fahren, zum Haus der Wannseekonferenz, Topographie des Terrors,  Gleis 13, von wo aus die Deportationen nach Auschwitz, Theresienstadt etc. stattfanden.
Wie im Vorfeld fast erwartet, war die Reise nach Auschwitz verstörend für mich.

Ich habe tief, bis in meine Knochen, Terror gefühlt, Grauen, Todesangst und Ekel aber auch Momente von tiefem Frieden, Dankbarkeit, Lachen, warme Umarmungen und freundliche Worte mit und von der Gruppe.  Unsere Gruppe war so harmonisch und „on“ von Anfang an, dass ich mich sicher genug gefühlt habe, mich auf Auschwitz und alles, was das bedeutet, einzulassen. Ich habe die Kräfte, die an diesem Ort wirken, unterschätzt.
Ich habe sehr um die Opfer getrauert, um alles, was nicht sein durfte für sie, für all den Verlust, für all ihr Leid, ich war regelmäßig tief geschockt,  habe Grauen und Panik gefühlt an der Selektionsrampe und auf dem Weg zu den Gaskammern, Todesangst,  Ekel beim Anblick der Krematorien, Ekel eigentlich überall, ich hatte körperliche Schmerzen, ich hatte Flashbacks von Schreien, Panik und Gestank.
Ich habe außerdem herausgefunden, dass ich ganz viel leiden will und muß, denn nur wenn ich eine 1 bekomme in Leiden, fühle ich mich weniger schuldig.

Ich hatte nie das Gefühl,  Gott fragen zu wollen, warum er nicht da war. Ich finde, wir waren nicht da. Wie wir das oft immer noch nicht sind, an zahllosen Ereignissen gemessen früher und heute.
Heute, in diesem Moment, fühle ich mich klein und hilflos und machtlos.
Ich weiß sehr wohl, dass dieses Gefühl eine alte Bekannte aus frühester Kindheit ist.
Aber nicht nur.

Auschwitz hat mich ausgespuckt mit einer tiefen Resignation und der Frage, ob es Gott eigentlich gibt.
Obwohl ich seine Existenz nie in Frage gestellt habe, tue ich es jetzt.
Ich scheine die Verbindung verloren zu haben.
Vielleicht habe ich auch Gott auch erhofft als übergeordnete Entität, als letzten Anker, der mich in meiner allerletzten Sekunde wenigstens vor dem schlimmsten Verderben rettet.
Es ist irgendwie auch erleichternd, merke ich gerade, dies nicht mehr als wahr zu empfinden. Ernüchternd, irgendwie.
Vielleicht kann ich ja jetzt eine erwachsenere Beziehung zu Gott haben.

Blind Drawing Krematorium 3
 
 
 
Vorbereitungstage Berlin

Die Schwierigkeit von Ausstellungen. Die meisten sehr kognitiv, der Ort der Information des Denkmals in Berlin eine positive Ausnahme, er rührt wirklich an, auch noch beim 4. Mal. Fast alle wollen einen Gesamtüberblick über Nazizeit und Holocaust geben und nicht nur über das Spezifische ihres Ortes – vor allem bei der Topographie des Terrors ein Problem.
Man wird hineingesogen in die Flut von Informationen und nimmt das gern als Ablenkung vom Fühlen. Und: jede_r muss ihren/seinen eigenen Weg hindurch finden, die Zugänge zum Fühlbaren sind unterschiedlich. Auswahl und Reduktion sind wichtig: Wer alles mitkriegen will, kriegt nichts wirklich mit.
Deutlicher für mich diesmal: Die tiefe Überzeugung der SS-Männer von ihrer Sache, davon, für ein höheres, besseres Ideal der Menschheit zu wirken. Die vielfältigen kollektiven wie individuellen Wunden in Deutschland, welche die Nazis perfide und perfekt ausgenutzt haben für ihr bestechendes Modell von Größe und Kraft und der Wiederauferstehung Deutschlands als Kern einer besseren Welt.
Mahnmal Gleis 17 im Grunewald, harmlos am Rande des S-Bahnhofs, den täglich hunderte Menschen benutzen. Vor 75 Jahren von hier alle paar Wochen Deportationszüge. Hier eingestiegen, in Auschwitz ausgestiegen, Gleise direkt in den Tod. Man kann diesen Ort nicht erfassen, wenn man nicht in Auschwitz gewesen ist – dachte ich. Aber die ganze Gruppe scheint mir, fast wie aus heiterem Himmel, wie gelähmt. Unglaubliche Stille, Bedrückung, ausgetrocknete Tränen legen sich auf uns.
Es sind immer wieder die Szenen mit Kindern, die mich kriegen, Fotos, Texte, Zeichnungen. Der Brief der Zwölfjährigen, die weiß, dass sie sterben wird, voller Liebe zu ihrem Vater. Im Zug auf der Hinfahrt, als eine von uns vom Gefühl geschüttelt wird, eine Mutter mit Kind auf dem Schoß zu sein im Güterwaggon ins Lager, sich an irgendeine lose Hoffnung klammernd, aber tief drinnen wissend, dass sie in den Tod fährt. Die Bleistiftzeichnungen der Kinder im Shoa-Haus im Stammlager: Wieviel Zartheit, Blüte, Unschuld, Offenheit für das Leben – ausgemerzt, spurlos. Goebbels 1942: „Von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig.“

Tage in Auschwitz
Diesmal erfasst mich die körperliche Starre schon immer, bevor wir in die Lager gehen, es kostet richtig Überwindung, den Fuß hineinzusetzen. Und immer wieder zwischendurch, innere, stumme Starre.
Erster Tag in Birkenau, mit meiner Kleingruppe stehe ich noch vor dem Eingang auf den Gleisen, verletzlich, offen, ängstlich, aber bereit. Skeptisch beäuge ich eine sich sammelnde Gruppe mit Uniformen, die Männer Hemden und Schirmmütze, die Frauen grüne Kampfoveralls. Im KZ Ravensbrück bei Berlin sind Uniformen verboten. Aber das hier sind israelische Streitkräfte, die dürfen das. Zweierreihen, Fahnenträger_innen vorneweg. Und dann marschieren sie doch tatsächlich mit Kampfstiefeln im Gleichschritt ins Lager. Ich kann es nicht fassen. Wie kann man diesen Ort des millionenfachen Mordens so (be)treten?! Kann man im Stechschritt der Toten gedenken? Bezeugen, was hier geschehen ist? Oder ist das nur Selbstvergewisserung? Ja, Israelis haben ein anderes Verhältnis zum Militär, aus guten Gründen, ohne seine Verteidigungskraft gäbe es Israel vielleicht nicht mehr. Und ein Ursprung liegt genau im Holocaust. Und dennoch: Hier gehört es nicht hin!


Ich gehe den Zwischengang in Birkenau entlang, wo Frauen und Kinder zu den hinteren Krematorien getrieben wurden, direkt von der Rampe zur Gaskammer. Brauche eine Hand, gehe mit M., wie die zwei Jungs auf dem Foto, die wenige Stunden später nur noch Asche waren. Ein erstickter Schrei ist in mir, der Drang, wirklich hier zu schreien aus Leibeskräften. Allein ich trau mich nicht, hier in Auschwitz schreit man nicht, man benimmt sich und reißt sich zusammen. Heute 2017 genauso wie damals.
Im Kleingruppenaustausch begegne ich wieder neu unserer jüdischen Mitreisenden. Wir kennen uns, mögen uns, waren schon gemeinsam hier. Ich schätze zutiefst ihren Mut und die Offenheit, mit der sie ihre Wut und Trauer zeigt, bin immer wieder sehr berührt davon, auch wenn es mal gegen mich geht, weil ich gerade Täterenergie repräsentiere. Und jetzt merk ich doch auf einmal die Trennung. Dass zwischen uns trotz allem etwas Trennendes liegt, dass sie mir fremd bleibt, ich etwas in ihr abwehre
Und dann spür ich, dass es wenig mit uns als Personen zu tun hat, sondern wir in einem Feld sind, eingesponnen, wir „Deutsche“, ihr „Juden“ – immer noch wirksam, welche Macht das hat! Auf einmal fühle ich,  zum ersten Mal überhaupt, ganz real und körperlich den tiefen Riss, den der Holocaust in der Menschheit hinterlassen hat. Namenlos, unsagbar, ewig, durchschneidet er mich und uns.




Samstag Morgen auf der Fahrt zum Treffen in Berlin:

Angst, Schwindel, mein Körper zittert, ich möchte umkehren...
Ich treffe Russell, bei dem ich übernachte, und später Esther, beide mit jüdischen Wurzeln und diesmal nicht dabei. Mir ist bewußt geworden, daß ich als einzige Vertreterin der Nachfahren der jüdischen Opfer dabei bin mit 16 deutschen Menschen. Es macht mich unsicher, weil wir alle als Individuen und als Stellvertreter für unsere Vorfahren reisen.
Ich bin mehr sichtbar mit meiner Identität und mit meiner Angst darüber, die ich über Jahre hauptsächlich unbewußt unterdrückt habe. Jetzt kann ich es nicht mehr verstecken.
Am Anfang in Berlin war in mir hauptsächlich eine starke Wut, die nur wenige Male schmelzen konnte für Trauer und Schmerz. Meine Wut war in der Gruppe willkommen, sodaß es leicht wurde für mich wütend zu sein, bis ich merkte, daß ich etwas in mir vermeide und mich auch von der Gruppe, den Menschen trenne. Wut zu spüren war leichter als Nichts zu spüren oder eine diffuse Angst - es zu wissen bedeutete, ich wollte diesen Ausweg nicht mehr.

In Auschwitz angekommen hatte ich kurz das Gefühl gar nicht weg gewesen zu sein. Wieder im Stammlager mit der bedrückenden Energie, den Fotos, den Haaren, den Listen und all den Zeugnissen der Morde, habe ich erlebt als ob ich in 2 Wirklichkeiten wäre - im Jetzt innerlich und passenderweise auch äußerlich kalt, stolpernd und mit Angst und Grauen in den Fußstapfen der Menschen, im Damals.Und doch wollte ich alles wieder sehen. Sowohl hier als auch in Birkenau gab es ein JA zum "Wieder da Sein"wie ein Versprechen, was ich gegeben hatte, wieder zu kommen, zu bezeugen, zu fühlen, soweit es mir möglich ist und zu meditieren und zu beten, vorallem für die jüdischen Menschen, wie um damit die Verbindung zu meinen Wurzeln zu stärken.
Es gibt da auch eine Scham, daß mich ihr Tod mehr berührt als der Tod der anderen Gefangenen.

Der Austausch in der Gruppe, die Meditationen, das Toning und das Mitfühlen der Erschütterungen der anderen - alles das hat mir sehr geholfen jeden Tag wieder hin zu gehen. Und zwischendurch gab es auch Phasen, wo ich an Gott gezweifelt habe und keine Verbindung mehr spüren konnte. Und dann gab es Phasen, wo mir klar war, daß ich her gekommen bin um zu erfahren, wie ich beitragen kann zu mehr Frieden und Liebe, auch in mir.
Ich habe einen großen Dank an unseren Container, der stark  und intensiv war und mich/uns unterstützt hat, bezeugen und fühlen zu können und das Gefühlte auszuhalten.Bei unserer letzten Meditation am Krematorium in Birkenau hatte ich ein Erleben von heller Energie und Schönheit, was mich so erschüttert und dann auch von diesem Erleben abgeschnitten hat. - Mein Wissen um den Mord von so vielen tausend Menschen an diesem Platz und der Schönheit konnte ich nicht gleichzeitig in mir Raum geben, was mich traurig gemacht hat.

Ich bedanke mich für unsere Reise nach Auschwitz bei uns allen. Ich weiß, ich werde wieder hinfahren, und in mir war auf einmal der Gedanke, daß es das nächste Mal mit jüdischen Menschen sein könnte. Es macht mir nochmal mehr Angst und gleichzeitig fühlt es sich richtig an.



Auschwitz - Birkenau im April 2017  

- eine meiner Erfahrungen Auf  der Rampe in Richtung Krematorium 3 bleibe ich vor einem der Wachtürme stehen und lausche nach Innen. „Es fühlt sich gut an, machtvoll, bewaffnet dort oben auf diesem Wachturm zu stehen. Vor mir liegen  die Baracken nebeneinander aufgereiht. Es ist kalt und nass, die Wege sind schlammig. Nur die Lampen entlang des Stacheldrahtzaunes erleuchten diese unwirtliche Szene. Im Lager ist es ruhig. Ich habe meinen Bezirk unter Kontrolle! Disziplin, Unterordnung, Demütigung, Gehorsam,  Gewalt  sind für mich selbstverständlich im Umgang mit diesen Menschen, die vernichtet werden müssen. Es ist für mich eine Pflicht, die ich nicht hinterfrage. Ich fühle die Härte in mir wie einen Block.“ Allmählich tauche ich wieder in der Gegenwart auf, nehme den Regen wahr und gehe langsam weiter, diese unbarmherzigen Gefühle in mir tragend. In der Umarmung mit zwei Frauen aus meiner Kleingruppe löst sich die Erstarrung in heftigem Weinen auf. Und ich erkenne, auch in mir gibt es Kontrolle, Disziplin, Strenge, Gehorsam als verinnerlichte Werte. Es erschüttert mich, wahrzunehmen in welchem Ausmaß ich es erfahren und auch weiter gegeben habe. Im liebevoll Gehalten werden, kann ich mit all diesen Gefühlen bleiben, den Schmerz zulassen. Ich bekomme ein inneres Bild: wie eine äußere Schale Risse bekommt und zerbröselt.




Durch unserer gemeinsame Reise

und die intensive Vorbereitungszeit ist mir die deutsche Vergangenheit näher gekommen. Ähnlich wie durch Familienaufstellungen die eigene Ahnenlinie näher an mich heran rückt, fühle ich mich mehr an „meinem Platz als Deutsche“. Ein Hinschauen und -spüren auf die Zeit des Holocaust und Nationalsozialismus ist klarer möglich als vorher.
Dieses millionenfache Vernichten menschlichen Lebens haben Deutsche vor allem jüdischen Mitbürgern vieler Nationen, inklusive unserer eigenen, angetan.

Unsere Gruppe bildete eine stabile Basis, auf der Vieles fühlbar werden konnte. Betroffenheit, Erschütterung, tiefe Trauer, Angst, Wut, Hass, … haben Ausdruck bekommen; immer in Beziehung zu jemanden aus der Gruppe, zur Kleingruppe oder im Sharing am Abend. Meist recht stabil gehalten in jede/r Einzelnen und im Gruppencontainer. Und auf einer Ebene war eine Unterscheidung zwischen Individuellem und Kollektivem auch nicht mehr sinnvoll.
So ein intensives für einander Da-Sein, wohlwollend, haltend, unterstützend, nicht wertend, habe ich sehr heilsam empfunden.
Mich persönlich hat bei dieser Begegnung mit Auschwitz immer wieder das Schicksal der ermordeten Kinder heftigst geschüttelt. Ein einzeln gestelltes Paar Kinderschuhe vor dem riesigen Schuhberg der Opfer; ein Koffer mit der Aufschrift „Waisenkind“; im Hintergrund die Information einer amerikanischen Reiseleiterin, dass 20% der in den Gaskammern von Auschwitz Ermordeten Kinder waren; 200.000 junge Leben ausgelöscht.
Die Tränen fließen oft in Betroffenheit über das Schicksal Einzelner; die immense Anzahl der Getöteten, das ganze Ausmaß diese Wahns bringt mich eher ins Verstummen, Schweigen, Erstarren, nicht fassen können.
Neben einer sehr großen Dankbarkeit für die Gruppe, die gefühlt wie ein Körper unterwegs war, war ich auch tief bewegt durch eine Frage, die in mir entstanden ist. Nach einer reichlich unspektakulären Meditation mit vielen „störenden“ Gedanken tauchte ich beim Rückweg in unsere Unterkunft in eine ungewöhnliche innere Stille und ganz eigene Innerlichkeit ein. Darin stellte sich mir fast schon körperlich in jeder Zelle die Frage: „Bist du da?“ Schön, dass ich in dem Moment ein klares und einfaches „Ja!“ in mir spüren konnte. Eine Ruhe und Tiefe hat mich über viele Tage
daraufhin begleitet. Ein Geschenk von diesem Platz; wo tiefste Dunkelheit und auch Licht stark wahrnehmbar sind.



Seit meiner Rückkehr vor 10 Tagen gibt es Auschwitz als einen inneren Ort in mir.

Dieser innere Ort ist jetzt ruhig, aber lebendig und berührbar.
Angefüllt mit meinen Erfahrungen, den Gefühlen, Gedanken, Körperempfindungen, die dort am Platz in mir stattgefunden haben.
Wenn ich etwas davon beschreiben will, merke ich, dass meine Worte eher unpräzise sind und meine Sprache holperig.
Es ist gut mit euch dort gewesen zu sein und nicht allein. Es gab mir Halt, dran bleiben zu können. Bewusst mich immer wieder diesem Schmerz und diesem Unbegreiflichen zu öffnen, was viel zu groß für mich ist, gar nicht möglich zu fassen. Aber den Schmerz immer wieder berühren, nur meinen winzigen Teil davon zu nehmen, anzunehmen, zu fühlen, zu bezeugen. Das fühlte sich richtig so an und es war möglich.
Zwischen dem Pol des Grauens, des Entsetzens und der Ausweglosigkeit und dem einer fast friedvollen, hellen und großen Stille liegt für mich ein Meer von Trauer. Trauer ist das Gefühl, die Energie, zu der ich, auch in Auschwitz, am häufigsten Zugang bekommen habe.
Mein Verstand hat oft versucht, irgendetwas zu begreifen und musste natürlich kapitulieren. Angesichts der Dimension dieser Vernichtungsmaschinerie, angesichts der Tatsache, dass dies Menschen getan haben, vernunftbegabte Wesen, die fühlen können.
Wie diese Reise mich verändert hat, kann ich nicht sagen, aber ich spüre, dass sie mich verändert hat. Ich glaube, es gibt mehr Demut in mir. Und das Wort „Menschlichkeit“  taucht immer wieder auf.  Dem will ich mich tiefer widmen, im Bezeugen unseres kollektiven menschlichen Versagens aber auch mit meiner ur-menschlichen Sehnsucht nach Frieden und Verbundenheit.

Blind Drawing Krematorium 3



Wenn ich jetzt nach dieser Reise auf Auschwitz zurückblicke,

so ist dieser Blick etwas Besonderes… eine tiefe Nähe ist da, Gefühle in mir zeigen sich sanft und auch eine Liebe zu diesem Ort und dem Erlebten ist da.
Der Begriff Auschwitz und der damit verbundene Horror und das Unfassbare, was geschehen ist, haben irgendwie einen Platz in mir gefunden. Einen Platz in mir, der sich trotz dieses Horrors, warm anfühlt und sich in so unterschiedlichen Facetten zeigen kann.
Auschwitz ist nicht nur mehr ein Begriff für das Geschehen … Auschwitz ist wie ein Gefühl in mir.
Ein Gefühl, das sein darf… Liebe, die sein darf … Schmerz, Trauer und Tränen die sein dürfen…. Berührungen, Umarmungen mit lieben Menschen, die sein dürfen und so wertvoll waren und sind und so viel mehr in mir zum Fließen gebracht haben.
Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Reise machen konnte/ durfte und gemacht habe … dankbar für das, was ich mit euch – liebe Mitreisende - erleben durfte….
Ich bin dankbar, für das, was zwischen uns Platz nehmen und Ausdruck finden konnte … dankbar wie wir unsere individuellen Prozesse erlebt und zwischen uns geteilt haben – dankbar für das Nichts-Wollen von jedem Einzelnen und dankbar für jede Umarmung und Berührung.
Es fühlt sich in mir so an, als wäre“ mein Innenraum“ weiter geworden … dieser Erfahrungsraum arbeitet in mir auch weiter und es ist weder angenehm noch unangenehm …. aber auf jeden Fall fühlbar.
Mit jedem Erinnerungsgedanken oder –gefühl wird wieder etwas in mir aktiviert … die Welt ist ein Stück liebenswürdiger geworden …. auch meine innere Welt….
… und stiller…. in einer wundervollen Art und Weise..




Auschwitz lehrt mich zu lieben

Ich fühlte Angst, je näher die Fahrt nach Auschwitz rückte. Und ich wußte innerlich, dass es richtig ist, zu fahren. Die Gruppe fühlte sich schon nach kurzer Zeit sehr warm und tragend an und auch die Unterstützung von außen, von Thomas, von Freunden war wichtig für mich.
Eine bewegende Erfahrung erlebte ich in Birkenau:
Ich lief in Richtung Rampe, wo früher die Juden aus den Wagons ausstiegen. Plötzlich empfand ich mich zurückversetzt in die damalige Zeit und fühlte mich als Jude. Ich konnte die unendliche Traurigkeit in mir nicht ertragen, all die Kinder und Frauen und Männer zu sehen, die ermordet werden und das unendliche Leid zu fühlen. Ich fragte mich, wie ich die Wachtürme der SS- Leute anzünden kann, wo ich eine Pistole herbekomme, um diese Menschen umzubringen und wie ich am besten alle SS-Offiziere direkt in der Gaskammer vernichte. Ich fühlte sehr viel Hass in mir und wollte einfach, dass das Leid und das Morden aufhört.
Ich ging die Rampe entlang und plötzlich fühlte ich mich als damaliger SS-Offizier. Wie als wenn ich innerlich die Seite gewechselt habe. Ich ging sehr aufrecht, fühlte mich mächtig, wußte, die Juden müssen alle vernichtet werden. Ich dachte, alles Viehzeug, da darf niemand übrig bleiben. Ich fühlte mich extrem eng, steif, starr und kalt innerlich, ohne irgendwas zu fühlen oder auch nur ansatzweise nach links oder rechts gucken zu können.
Dann war ich wieder der Jude und bog in den Stichweg ab, wo alle aussortierten Kinder, Frauen, Männer und Alten direkt in die Gaskammer geführt wurden. Ich wurde innerlich weicher und fühlte mich unendlich traurig und fing an zu weinen. Zwei aus meiner Kleingruppe standen in der Nähe und ich fragte um Zeit für ein Sharing. Ich konnte die Erfahrung teilen und fühlte, wie ich es kaum aushalte, die Unendlichkeit meiner Traurigkeit zu fühlen, all die Toten, die Kinder und Frauen, das Leid...und musste immer wieder sehr weinen. Ich berichtete alles und weinte auch über diesen fühlbaren Hass in mir.
Wir gingen weiter und ich fühlte mich immer noch als Jude und mir kamen Sätze wie: „Ich liebe mein Volk“ und „wir sind es wert zu leben“ und „wir sind es wert geliebt zu sein und selbst lieben zu dürfen.“ Am Krematorium 4 und 5 angekommen, entschieden wir als gesamte Gruppe gemeinsam im Kreis stehend zu meditieren. Nach einer Weile hörte ich wieder die obigen Sätze in mir: „Ich bin es wert geliebt zu werden, ich bin es wert zu lieben und zu leben.“ Und die Frage entstand in mir: „Wie liebe ich in diesen Umständen? Wie mach ich das? Und es fühlte sich als nicht möglich an, als Jude einen SS-Mann zu lieben und andersherum. Irgendwann kam die Einsicht, dass Mitfühlen und Verstehen ein Weg sein könnte und dass es wichtig ist, das Herz so zu weiten, dass alles darin Platz findet – alles. Es war klar, das bedeutet bedingungslos zu lieben. Und damit war nicht gemeint, die Massenvernichtung und all die menschenunwürdigsten Handlungen, die hier passiert sind, zu akzeptieren.
Es war klar, die Liebe ist das, was Frieden bewirkt – in mir, in anderen und zwischen uns.
Danach fühlte ich die Verbindung zu Gott sehr lichtvoll und die Stille und die Liebe darin. Am Ende der Meditation kam ein Satz: „Auschwitz lehrt mich zu lieben.“
Nach der Meditation tat es mir gut in der Kleingruppe mich auszutauschen. Wir gingen später zum Krematorium II und standen dort vor der Gaskammer in Stille. Es war, wie als wenn die Seelen mir sagten: „Bring die Liebe in die Welt.“
Und dies hörte ich auch vorher von einer Israelin mit der ich ins Gespräch kam. Sie sagte: „ Das wichtigste, was wir aus dem Holocaust lernen können, ist, dass wir einander lieben.“
Abends beim Austausch in der großen Gruppe merkte ich durch einen Einwand, wie sehr ich mich schäme mein Erlebtes zu teilen. Ich schämte mich für den Hass, den ich auch in mir kenne, der auch in mir durch gefühlt zu großen, nicht für mich aushaltbaren Schmerz entstanden ist. Ja, es war schwer mich selbst damit anzunehmen. Und ich fühlte Angst, abgelehnt zu werden.
Ich bin unendlich dankbar für diese und andere Erfahrungen, die aus meiner Sicht kollektive und persönliche Heilung möglich gemacht haben. Ich fühle viel Dankbarkeit für Gottes Begleitung, die Unterstützung der Seelen, die Einsichten, Thomas Begleitung, für unser Caring der Klein- und Großgruppe, das Leitungsteam und die Unterstützung aller, die an uns gedacht haben.




Männlichkeit
Im Raum der Wannseekonferenz,

in der am 20. Januar 1942 staatstragende Männer der Endlösung für „die Juden“ zustimmten, war ich konfrontiert mit einer Männlichkeit, gegen die ich mich mein Lebtag gestemmt habe. Es gab Wut und Hass in mir auf diese uniformen Männer, auf ihr rücksichtsloses Miteinander. Ich hab Angst, bin ausgeschlossen, gehöre nicht zu ihnen.
An diesem Ort war so viel Wettbewerb um Härte, um möglichst konsequentes Entscheiden und Tun, eine allgegenwärtige Atmosphäre von (vorauseilendem) Gehorsam, um es „dem Führer und dem Volk“ recht zu machen. Ich glaube, sie genossen gemeinsam stark zu sein - und nahmen in Kauf, all ihre gegenwärtigen unangenehmen Gefühle auszuschließen und zu privatisieren.
In meiner Welt schien es mir lange Sinn zu machen, schwach, unentschieden und allein zu sein – einfach die bessere Alternative. Wie sehr hat meine eigene Biografie also auch damit zu tun, wie diese Männer (und auch Männer meiner Familie) ihre Männlichkeit gelebt haben?!

Vom Schwarz-Weiß zum Grau
Auschwitz. Juden - Deutsche.
Opfer-Täter. Schwarz-Weiß.
Ich bin so froh auf unserer Reise so vielen Menschen-Leben begegnet zu sein: Fotos, Gesichtern, Familien, Kulturen, dem Leben und dem (gewaltsamem) Tod. Sie haben mich berührt, mich erreicht, diese Menschen. Und immer wieder wollte auch mein Verstand begreifen, was dort eigentlich passiert ist. So habe ich mir die Unmenschlichkeit auch immer wieder auf Abstand gehalten.
Die Kultur jüdischen Lebens in Europa ist damals zerbrochen, so viele Menschen sinnlos gestorben. Das ist mir immer näher gekommen, hat mich immer trauriger und stiller gemacht.
Lange bin ich – zum Abschluss meiner Reise - über den riesigen jüdischen Friedhof in Warschau gegangen. Und ich habe die Ausmaße des jüdischen Ghettos dort am Eingang auf einem Relief gesehen. Wieviel Leben, wieviel Tradition. Der Terror und Schrecken der Nazi-Herrschaft scheint mir allgegenwärtig in Polen.
Ihm ist also nicht nur in den von Stacheldraht umzäunten Museen der grausamen Gefängnisse von Auschwitz-Birkenau zu begegnen. Ich will meinen Blick darauf nicht verengen. Ich will auch nicht nur Juden und Deutsche sehen: Es waren so viel mehr Menschen, die gelitten haben, weil sie nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehören sollten – wie auch immer begründet. Wo sind sie, die „Nicht-Juden“?
Schwarz-Weiß-Denken ist in der unmenschlichen Welt allgegenwärtig. Freund – Feind, überall. Doch je präsizer (und damit liebevoller) man schaut, um so mehr Menschen tauchen auf - im dann immer grauer werdenden - Mosaik der Unmenschlichkeit. Menschen, die zu Opfern wurden, Menschen, die zu Tätern wurde, und viele Menschen mehr, die mitgemacht oder zugeschaut oder weggeschaut haben. Auch Menschen meiner Familie, mit denen ich heute nicht mehr reden kann.
Ich will die Menschen hinter all dem sehen, auch hinter dem, mit dem sie identifiziert sind – was oft nicht leicht ist. (Menschen benannt als „Juden“, „Nicht-Juden“ und SS/Deutsche habe ich in Auschwitz oft im offiziell Narrativ gefunden.)

In all dem Grau/en kommt mir dann auch die unangenehme Wahrheit immer näher, die ein Auschwitz-Historiker (T. Snyder) so zusammenfasst: „… dass Menschen, nicht sehr verschieden von uns, andere Menschen, nicht sehr von uns, aus der Nähe umgebracht haben“ - und das nicht nur in Auschwitz, sondern von „Paris bis Smolensk“.

Gott, erbarme Dich!
Gott bewahre!
Erstmals in meinem Leben habe ich so unmittelbar gebetet. In der Gaskammer und angesichts des Bergs an Haaren war das Grauen so überwältigend, dass ich nichts als Gott näherkommen konnte.
Unbegreiflich wie Gott: Wie kann es sein, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun? Es kann nicht sein. Es darf nicht sein. Es war. Es ist.




Die Dimension der Vernichtung und die Schönheit des Lebens

Schon oft habe ich auf Karten geblickt, die die unzähligen Lager abbildeten (vorallem im Osten), in denen  Menschen ausgehungert wurden, erschossen, gepeinigt, vergast, ermordet.
Doch die gewaltige Dimension der Vernichtung hat sich mir nie wirklich erschlossen.  
Auf dieser Reise kann ich zum ersten Mal, zumindest ansatzweise erfassen was systematischer europaweiter Massenmord bedeutet.
Ein gewaltiger Riss im Gewebe des Lebens. Kalt, brutal und erbarmungslos. Eine riesige klaffende Wunde, an deren einem Rand das deutsche Volk steht und an dessen anderem Rand das jüdische.

Ich als Deutscher kann mich dem einen Rand der Wunde nähern. In Birkenau ist mir dies jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung. Immer wieder diese starke Beklemmung in mir zu spüren. Und Trauer die noch keine Tränen hat. Die sehr spürbar ist, aber eingefroren bleibt, die mich bedrückt.
Das Lager wieder zu verlassen ist jedes Mal befreiend. Endlich wieder durchatmen. In diesen Momenten wird mir deutlich wie stark die Anspannung innerhalb des Lagergeländes ist.

Immer wieder hilft mir der ganz direkte körperliche Kontakt mit meinen Mitreisenden.
Eine Umarmung, ein Arm in Arm gehen, eine Hand die meine hält. Die Kälte, die Beklemmung, das körperliche Zittern – endlich beginne ich mich durch den Kontakt auch emotional zu fühlen. Meine Tränen können fließen.

Auschwitz ist ein Platz wo die Redewendung „Wo viel Schatten da viel Licht“ sehr zutreffend ist.
Saß in einer unserer Meditation an den Krematorien bei strömendem Regen wie im Sonnenlicht.
Ein Bild der Erlösung erschien mir während dieser Meditation – ein Moment der Gnade am Rande des Abgrunds.
Seit dieser Meditation ist in mir eine Spur entstanden die mich die Schönheit des Lebens, des Menschseins besser fühlen und erkennen lässt.

Ich bin zutiefst Dankbar für diese Reise, für die warme, unterstützende Intimität in unserer Gruppe, und für jede Unterstützung aus der Ferne.



Auschwitz 2017



The beginning of the end



Ist jemand hier?


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Leere
Verschluss, Ausschluss
kein Licht keine Liebe für Fremde
was uns im Wege steht
wird ausradiert
wir hassen!
Wir bringen Euch den Tod
Tiere, wie Menschen: Juden, Schwule, Christen, Gegner
führen wir zur Schlachtbank,
wo sie hingehören
und dafür tun wir alles!
schreit nur, es ist niemand da,
der es hört
Das Lager, die Zäune,
ihr wollt noch was?
Schläge, Schläge, Schläge, Schläge, Schläge ——
ddie Gaskammer und
einen Seufzer hab ich einmal gehört
und ein Schrein
das Grab baut Ihr selber
das ging mir durch Mark







Überall bin ich
der Übermacht
ausgeliefert,
der Grausamkeit
ohne Ende,
keine Sicherheit
für Leib und
Leben


Vor dem Tod dringt er
in meinen Körper
für Experimente!
Alles ist verloren
alles Äussere
und im Innern nur
Hunger
Sterbenselende,
Todesangst und
Angst
vor noch mehr
Schmerz
Angst!

Ich bin mir
nicht mehr treu,
ich habe Gott
verloren.
Du - mein Eins
versinkst
in meinem Elend


 
 
Die Not in meinem
Inneren
hat in Auschwitz
ein Äusseres gefunden


Die Bedrohung meiner Existenz :
Entweder ich verliere Gott,
oder ich finde ihn.


Gottes
Ort
wartet
immer
und ewig
auf mein Ja

Mein Schreien
nach Gott
in der Tiefe
dieses Risses
in den tiefsten Abgrund meiner selbst,
in den tiefsten Abgrund der Menschheit
legt einen Raum frei
für Gott

Soviel ich von Auschwitz zulasse,
soviel lasse ich auch
für Gott zu.
ich zeige Ihm all die Wunden
und verstehe nicht
Oh,

Herr, ich lasse
Dich nicht!



Ich möchte bleiben - an diesem Ort.

Ich möchte ihn nicht zurücklassen
diesen Ort.
Dieser Ort hält.

Ich möchte etwas hierlassen, etwas, das ich diesem Ort gebe:
mein Bezeugen, meine stille Aufmerksamkeit, mein Nichtbegreifen,
mein stummes inneres Weinen, meine Tränen, meine Liebe.



Irgendwann: Umkehrung



Ich merke, ich kann etwas lassen, nicht mehr im Sinne von Geben.
Vielmehr ein Lassen, das mich von etwas befreit.


Ich komme in einem Zustand von Vernebelung und Schwere.
Ich gehe und fühle mich klar und leicht.
 
Ich komme mit einem stillen fernen Weinen in mir.
Ich gehe mit fast übersprudelnder heller Freude.

Ich komme voller Unruhe und Angst.
Ich  gehe beschenkt mit Stille und Lebensmut.


Ich kann etwas zurücklassen
an diesem Ort.
Dieser Ort heilt.  

So gehe ich ins Leben - von diesem Ort.

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